Die Kamera auf der revolutionären Straße verschafft eine Wahrnehmung, die weit über die lokale Öffentlichkeit der jeweiligen Gesellschaft hinausgeht. Die Zirkulation von Bildern ist daher immer auch Teil einer propagandistischen Steuerung der Ereignisse und ruft daher per se Misstrauen bei den Offiziellen hervor. Trotz offizieller Drehgenehmigung wurden wir in Ägypten immer wieder von Sicherheitspolizisten in Zivil aufgehalten und befragt. Nicht jedem ist eine breite mediale und weltweite Öffentlichkeit willkommen, ahnend, dass die Kamera nie einen unabhängigen und neutralen Ausschnitt der Wahrheit zeigen kann, sondern immer nur das Vorwissen und die Interessen des kameraführenden Individuums repräsentiert. Der Mann, der sich auf der Salafisten-Demonstration in Tunis breit vor meiner Kamera aufbaut, scheint auf den ersten Blick die Öffentlichkeit zu suchen. Doch sein Blick über die Schulter verrät eine andere Intention. Offensichtlich möchte er verhindern, dass ich die Kamera auf einige der wenigen weiblichen Teilnehmerinnen der Demonstration im Hintergrund richte. (#131) Auch die Demonstranten, die am Tag der Prozesseröffnung gegen den abgesetzten Präsidenten und Muslimbruder Mursi die Straßen Kairos bevölkern, wissen von ihrer Rolle in der visuellen Beeinflussung der weltöffentlichen Wahrnehmung. Das Victory-Zeichen, das der Passant flüchtig in die Kamera hält, ist das Symbol der Protestbewegung gegen die Muslimbrüder. (#132)