Als wir bei den Filmarbeiten im marokkanischen Rabat die Darbietung eines blinden Straßensängers gefilmt haben und uns bei ihm „für die Musik“ bedankten, ernteten wir für diesen Fauxpas verdientermaßen ein unwirsches „Das ist keine Musik. Ich rezitiere den Koran.“ Was den nicht-muslimischen Augen und Ohren als Straßenkonzert erscheinen musste, war in Wahrheit religiöse Dienstleistung. Was aber, wenn der Muezzin im israelischen Jeljulya, der für gewöhnlich die Gläubigen über Lautsprecher zum Gebet in die Moschee ruft, seinen Gesang ohne jede Verstärkung exklusiv vor der und für die Kamera wiederholt? Welche sozialen oder religiösen Praktiken für wen welche Geltung beanspruchen, ist ein auch rund ums Mittelmeer immer neu zu verhandelnder Prozess, der umso mehr auf dem Spiel steht, wenn die Anwesenheit einer Kamera die Rollen von Akteur und Betrachter neu verteilt.